Uber den Temperatureinfluss auf das elektrische Leitvermogen von Losungen, insbesondere auf die Beweglichkeit der einzelnen Ionen im Wasser. Von Friedrich Kohlrausch Zu den fur die Elektrolyse fundamentalen Grossen gehoren die Temperaturcoefficienten der Ionenreibung im Wasser. Diese Zahlengruppe aufzustellen wird hier versucht, grossentheils auf Grund der von Hrn. Deguisne ausgefuhrten sorgfaltigen Messungen uber "die Temperaturcoefficienten des Leitvermogens sehr verdunnter wasseriger Losungen". Hierbei finden sich zugleich zwischen den Grossen interessante gegenseitige Beziehungen, welche die obige Aufgabe in einem weiteren Umfange anzugreifen gestatteten als vorausgesehen worden war, und welche ferner die Ubersichtlichkeit des ganzen Gebietes in erheblichem Maasse fordern. 1. Aufstellung der ersten und zweiten Temperaturcoefficienten unendlich verdunnter wassriger Losungen. Deguisne hat in dem Ausdrucke k = k1+2 welcher das Leitvermogen k bei der Temperatur t sehr nahe wiedergiebt, fur Losungen von 0.0001, 0.001, 0.01 und meistens noch von 0.05 gr-Aequ. Liter mittels Beobachtungen bei 2, 10, 34 die Coefficienten a und b bestimmt. Heiraus sind fur unsere Aufgabe zunachst Grenzwerthe fur unendliche Verdunnung abzuleiten. Dieser Aufgabe scheint in den Deguisne'sehen Zahlen selbst eine Schwierigkeit entgegenzustehen. Unerwarteter Weise andern sich namlich die Werthe bei dem Ubergange von 0.001 zu 0.0001, auch an so stark dissoeiirten Korpern wie die Chloride oder Nitrate der Alkalien, noch merklich, so dass die Extrapolation auf Null zweifelhaft zu bleiben scheint. Fur beobachtungsfehler sind diese durchschnittlich in einem bestimmten Sinne, namlich als Zunahme auftretenden Differenzen zu gross. Man wird indessen noeh den Umstand in Betracht zu ziehen haben, dass in den starksten Verdunnungen das losende "wasser" bereits einen sehr merklichen Bruchtheil, namlich etwa ein Zehntel zum Leitvermogen beitragt, und dass der Temperaturcoefficient des "Wassers" selbst grosser ist als der der gelosten Korper. Auf Grund eigener Beobachtungen am Wasser und der von Deguisne gemachten Angaben uber das von ihm angewandte Wasser habe ich an den Zahlen deswegen eine Correction angebracht. Hierdurch sinkt der Durchsehnittsbetrag der Differenz, der an dem Hauptcoefficienten a 0.00025 betrug, auf 0.0001, also auf einen nicht in Betracht kommenden Werth, und das vorhin erwahnte Bedenken wird beseitigt, indem seine Ursache sich zweifellos als eine secundare Erscheinung herausstellt. Aus Deguisne Beobachtungen leite ich nunmehr die folgenden, nach der Grosse von a geordneten Grenzwerthe fur unendliche Verdunnung ab, die Fluoride von Kalium und Natrium, sowie Strontiumsalfat, Natriumacetat und Bleinitrat naeh eigener gelegentlicher Beobachtung zufugend. uber die berechneten werthe von b vergl 3. Die temperaturecoefficienten der einzelnen ionenbeweglichkeiten im wasser. Um von den ganzen Elektrolyten zu den ionen zu gelangen, wurde es genugen, wenn, ausser den Beweglichkeiten der Ionen bei einer bestimmten Temperatur, noch fur einen der Elektrolyte die temperaturanderung des Hittorf'schen Uberfuhrverhaltnisses in verdunnter Losung genau bekannt ware. Nun liegen wohl Uberfuhrversuche in verschiedener Temperatur von Lob und Nernst, sowie besonders von W. Bein an AgNO3, HCl vor, aberihre Vergleichung zeigt, dass die einzelnen Ergehnisse der schwierigen Messungen mit Unsicherheiten behaftet sein mussen, die fur unseren Zweek zu gross sind. Ich habe deswegen ein Ausgleichverfahren angewandt. Dabei wurde die wahrscheinliche Annahme zu Hulfe genommen, dass der zweite Temperaturcoefficient b der Ionen der fur die ganzen Elektrolyte nachgewiesenen, durch die Formel S.1028 dargestellten Beziehung zum ersten folgt. Eine Quelle der Unsicherheit besteht immerhin, namlich dass die hohere der beiden Temperaturen, zwischen denen die Anderung der Uberfuhrung bestimmt worden ist, theilweise weit ausserhalb des Gebietes liegt, in dem die quadratische Formel fur die Leitvermogen gepruft wurde. Tabelle 3 enthalt ausser den zur Ableitung benutzten Ionenbeweglichkeiten l18 bei 18 die hier zum ersten Male aufgestellten Coefficienten a und b der quadratischen Temperatureformel zu den einzelnen Ionen nach ihrer Grosse angeordnet. Fur die im Vorigen nicht vorkommenden Ionen Li, Zn und JO3 sind die Coefficienten nach eigenen Bestimmungen an hundertnormalen Salzlosungen zwischen 18 und 26 gebildet; sie werden nahe zutreffen. Die coefficienten b sind bei ihnen nicht controlirbar. Die Sicherheit dieser zu Grunde gelegten Zahlen l18 (Tabelle 3) ist ungleich. K, Na, Li, Cl, auch wohl Mg, halte ich fur gut bekannt; Zu, Cu, wohl auch SO4, und naturlich CO3, fur am wenigsten sicher. Die Zahlen sind fruheren Veroffentlichungen von mir entnommen, theilweise mit Rucksicht auf diese Berichte, 1900, S.1008, etwas abgeandert. Pb ist aus PbN2O abgeleitet; es soll offen gelassen werden, ob der auffallend grosse Werth durch Hydrolyse beeinflusst ist. 4. Prufung von tabelle 3 an der Erfahrung. An die Stelle der hier zu weit tuhrenden Ablieitung der Zahlen soll die Prufung treten, welche dadurch entsteht, dass man aus ihnen die erfahrungsmassig bekannten Zahlen, auf denen sie beruhen, ruckwarts ablieitet, namlich die Temperaturecoefficienten, welche aus ihnen erstens fur das Leitvermogen und zweitens fur das Uberfuhrverhaltniss eines aus zweien der Ionen zusammengestzten Elektrolyts folgen. Tabelle 4 giebt die mir bekannten ersten und zweiten Temperaturcoefficienten des Leitvermogens verdunnter Elektrolyte und daneben die Differenzen delta, welche zu den letzten Decimalen hinzugefugt werden mussen, um die Coefficienten zu erhalten, die sich aus Tabelle 3 in bekannter Weise berechnen. Die Ubereinstimmung ist uberraschend gut; grossere Differezen betreffen nur Korper, die nach Beobachtungsmaterial oder Dissociationszustand verdachtig sind. Dass die weitere Prufund der vorgenommenen Vertheilung des Temperatureinflusses auf die Anionen und die Kationen an den Ubserfuhrzahlen in ahnlich guter Weise stimmt, ist von vorn herein ausgeschlossen. Die grosseren Differenzen zwischen Rechnung und Beobachtung in Tabelle 5 sind wohl wesentlieh auf die Unsicherheit der letztenren und auch theilweise auf den Umstand zuruckzufuhren, dass die Uberfuhrung an nicht genugend verdunnten Losungen und bei Temperaturen ausserhalb unsere Gebietes bestimmt worden ist. Tabelle 5 kann also wesentlich nur zeigen, wie mit dem vorhandenen unvollkommenen Material, mit Hulfe des fur die einzelne Bestimmung geschatzten Gewichtes, ausgleichend vorgegangen worden ist. Nur diese Vertheilung wird durch die Uberfuhrzahlen bestimmt. In ihrer Anwendung auf ganze Elektrolyte ist Tabelle 3 von der Uberfuhrung unabhangig. Diese mit alpha18 uberschriebenen Zahlen unterscheiden sich theilweise um kleine Betrage von den a der Tabelle 1. Ich habe namlich vorgezogen, zur Berechnung der Coefficienten der einzelnen Ionen nicht die Von Deguine aufgestellten a, sondern die von ihm in besonderer Tabelle zusammengestellten, direct aus den Beobachtungen bei 10 und 26 abgeleiteten Werthe a18 = k18 zu benutzen, naturlich wegen des Wassers so corrigirt, wie in der Einleitung angegeben wurde. RbCl, fernet die Fluoride, sind aus eigenen Beobachtungen zumeist an 0.01 normalen Losungen abgelcitet. BaSO4 ist selbstverstandlich nur als Beispiel dafur eingefugt, dass man selbst an so verdunnten Losungen genaherte Bestimmungen ausfuhren kann. Da die Ionen Rb, Cu, CO3 und OH je nur einmal vorkommen, so stimmen Beobachtung und Rechnung fur a von selbst. Tabelle 5. Rechnung. Uberfuhrverhaltniss n des Anions bei der Temperatur t Zunahme von n auf +1 Beobachtung. gr-Aequ. Liter Zunahme von n auf +1 Gewicht 5. Grossenbeziehung zwischen den Beweglichkeiten der Ionen und ihren Temperaturcoefficienten. In tabelle 3 waren die ionen nach steigendem a geordnet. Im grossen und Ganzen ordnen sie sich dadurch von selbst nach abnehmenden Beweglichkeiten, freilich, auch ausser den nicht sicheren CO3 und Pb, mit groben Abweichungen, welche besonders die negativen Ionen betreffen. Beachtenswerth ist hierbei die ausgezeichnete Gesetzmassigkeit der Ordnung bei allen einwerthigen positiven Ionen H, Rb, K, NH4, Ag die in graphiseher Darstellung von l und a auf einer ganz regelmassigen Curve liegen. Um dies zu zeigen, werde a nach der formel berechnet a-0.0065=0.0683 Auch Cl und OH reihen sich genähert ein, die Ă¼brigen Anionen und die mehrwerthigen Metalle freilich weichen zumeist erheblieh starker ab, als die Unsicherheit der Bestimmung betragt. Dass die obige Ubereinstimmung innerhalb der Fehlergrenzen, die sich an allen vorliegenden Korpern einer bestimmten einfachen Gattung zeigt, auf einem Zufall beruhe, ist unwahrscheinlieh. Nimmt man sie an, so entsteht fur diese Ionen das einfache Resultat, dass ihre elektrolytische Bewegliehkeit im Wasser durch eine einzige Constante, namlieh durch ihre Beweglichkeit bei einer bestimmten Temperatur, z. B. 18, gegeben ist. Denn der erste Coefficient des Temperatureinthusses wird durch diese Constante bestmmt, und wie im 2 gezeigt wurde, ist der zweite Coefficient aus dem ersten abzuleiten. Beachtet man noch, dass die letztere Art des Zusammenhangesnach S.1028 vermuthen lasst, dass die Beweglichkeit aller Ionen bei nahezu der gleichen niederen Temperatur aufhort, so stellt sich durch die Betrachtungen, welche hier, wenn auch als ein erster Versuch, vorliegen, das ganze Gebiet der Ionenbeweglichkert im Wasser in einem erfahrungsmassigen Zusammenhange dar, der die Ubersicht wesentlich erleichtert.